Diskussion

Hörbericht: Denkstile – Bilder von Behinderung - Fußball

Podcast zur Podiumsdiskussion in Kooperation mit der Berliner Landeszentrale für politische Bildung.
04.06.2024
Foto: Das Podium in der Landeszentrale für Politrische Bildung zum Thema inklusiver Fußball

Hörbericht von 29.5.2024

Menschen mit Behinderung beurteilen wir so, wie wir gewohnt sind sie zu sehen. Die Bilder und Sichtweisen verhindern mitunter, dass behinderte Menschen sich als vollwertiger Teil der Gesellschaft fühlen. Noch vor Anstoß zur Europameisterschaft der Männer, fragte die Diskussion am 29. Mai 2024 in Kooperation mit der Berliner Landeszentrale für politische Bildung nach dem Stand im Fußball, dem "Volkssport Nr.1". Hören Sie einen Beitrag von Klaus Fechner.

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Transkription zum Mitlesen

Die Fußball-Europameisterschaft ist eines der großen Sportereignisse in diesem Jahr. Aber wie sieht es abseits der großen Bühne für Menschen mit Behinderung aus, die selbst Fußball spielen oder als Fan am Volkssport Nr. 1 teilhaben wollen? Welche Barrieren gibt es? Wie kann Teilhabe gesichert werden? Die Fürst Donnersmarck-Stiftung hat am 29. Mai 2024 gemeinsam mit der Berliner Landeszentrale für politische Bildung dazu nachgefragt. Die Podiumsdiskussion im Rahmen der Reihe „Denkstile: Bilder von Behinderung“ fand in den Räumen der Landeszentrale in Berlin-Charlottenburg statt. Dabei kamen Aktive und Trainer ebenso wie Verantwortliche aus Vereinen und der Verwaltung zu Wort.

Marco Reinecke spielt für Tennis Borussia Berlin in der Bundesliga für Amputierten-Fußball. Er beschreibt seinen persönlichen Weg.

Foto: Marco Reinecke, Tennis Borussia, bei der Diskussion

Foto: Marco Reinecke, Tennis Borussia

Es war bei mir ganz einfach. Ich bin seit dem vierten Lebensjahr amputiert, war dann auf einer ganz normalen Schule und Sport war schon immer meins. Ich habe eigentlich immer Fußball gespielt. Zum Amputierten-Fußball bin ich durch einen Kumpel gekommen, das war 2013. Ich bin glücklich bei TeBe gelandet zu sein, weil man spürt im Verein, dass sich echt was bewegt.

Reinecke sieht aber auch das Problem, dass es nur wenige aktive Spieler gibt. Amputierten-Fußball sei zu wenig bekannt, aus seiner Sicht fehlt es an Aufmerksamkeit für seine Sportart in der breiten Öffentlichkeit.

Eine ähnliche Entwicklung beschreibt Sandra Röder, sie ist Fanbeauftragte für Inklusion und Vielfalt bei Hertha BSC. Seit 2020 hat der Verein eine Abteilung für Blindenfußball. In der aktuellen Saison musste zeitweise der Spielbetrieb eingestellt werden, weil zu wenig Spieler vorhanden sind.

Foto:Sandra Röder, Hertha BSC, bei der Diskussion

Sandra Röder, Hertha BSC

Wir möchten die Sportart nicht aufgeben, weil sie uns wichtig ist. Wir möchten sie weiter vorantreiben, aber wir müssen jetzt andere Wege finden. Da sind wir dabei und gehen den Ansatz zu sagen, wir müssen an die Schulen. Wir müssen an die Blinden- und Sehbehindertenschulen, um dort Angebote zu schaffen, die nah sind. Und die vor allem auch keinen großen Aufwand für die Familien bedeuten, die eh schon mehr Aufwand haben in der Betreuung ihrer Kinder. So versuchen wir den Blindenfußball in Berlin am Laufen zu halten.

Neben den Spielern müssen aber auch Trainer für den Sport gewonnen werden. Tennis Borussia ist dabei einen ganz direkten Weg gegangen, wie Kevin Henck erzählt. Er ist in der TeBe-Abteilung für Amputierten-Fußball aktiv.

Im März vergangenen Jahres hat mich der sportliche Leiter von TeBe angerufen, wir kannten uns aus Zeiten vom BAK. Er hat gesagt: Pass auf, es gibt eine Amputierten-Abteilung bei uns. Ich brauche einen Koordinator und einen Trainer. Kannst du dir vorstellen, das in Doppelfunktion zu machen? Vorher wusste ich vom Amputierten-Fußball gar nichts, habe mich dann belesen und war gleich fasziniert von dieser Sportart. Dann war ich bei einem Workshop in Sinsheim und habe mir das genauer angeschaut. Da habe ich den Fußball neu kennengelernt. Es macht Spaß mit den Jungs zu arbeiten und zu sehen, dass sie Freude daran haben.

Bei anderen Varianten des Fußballs für Menschen mit Behinderung gibt es weniger Probleme, Mitspieler zu finden. Der Inklusionsbeauftragte des Berliner Fußball-Verbandes, Karl Felix Heinz, sieht insgesamt eine positive Entwicklung und erkennt mehr Offenheit bei vielen Vereinen. Inzwischen werden viele Fußball-Varianten für Menschen mit Behinderung angeboten. Dazu gehören zum Beispiel Wheel-Soccer, E-Rolli-Fußball und Walking-Football.

Foto: Karl Felix Heinz, Berliner Fußballverband, bei der Diskussion

Karl Felix Heinz, Berliner Fußballverband

Insbesondere bei der großen Zielgruppe der Menschen mit intellektueller Beeinträchtigung werden die Angebote mehr. Es kommen Vereine auf uns zu, die nachfragen, dass wir gemeinsam Angebote starten. Da sehe ich durchaus eine positive Entwicklung. Allerdings ist der Weg noch weit, weil der Bedarf größer ist als die Angebote, die wir bieten können.

Um die Nachfrage nach Sportangeboten zu bedienen, müssen aber auch die Rahmenbedingungen gegeben sein. Dazu gehören die Ressourcen in den Vereinen: zum einen ausreichend ehrenamtliche und hauptberufliche Mitarbeiter und zum anderen geeignete Sportstätten. Gerade die Stadien und Hallen müssen sowohl für Sportler als auch für Zuschauer behindertengerecht gestaltet sein. Doch bei der Infrastruktur, für die die Stadt und die Bezirke verantwortlich sind, besteht ein Problem, wie Katrin Koenen von der Senatsverwaltung für Inneres und Sport beschreibt.

Foto: Katrin Könen, Berliner Senatsverwaltung, bei der Diskussion

Katrin Könen, Berliner Senatsverwaltung

Eigentlich ist die Vorgabe, dass sowohl bei Neubau als auch bei Sanierung immer die Barrierefreiheit mitgedacht wird. Da gibt es eine DIN-Norm. Da habe ich aber gelernt, dass das eigentlich nicht ausreicht. Dann wurde in den letzten Jahren die Typen-Sporthalle Inklusiv entwickelt, die versucht möglichst alle Barrierefreiheiten zu geben. Die Herausforderung ist aber, wenn wir eine Fläche irgendwo im Zentrum von Berlin kriegen, wo eine Sporthalle gebaut werden soll, ist häufig die Grundfläche nicht ausreichend. Also, eine Typen-Sporthalle Inklusiv braucht viel mehr Baufläche als andere. Dennoch ist die Vorgabe, es so weit wie es geht zu machen.

Übrigens, von der Fußball-EM profitiert z. B. das Berliner Olympiastadion, weil dort neue Rollstuhl-Plätze und ein besserer Zugang geschaffen werden. Menschen mit Behinderung, die als Fan und Zuschauer ins Stadion möchten, werden dauerhaft davon profitieren. Am Ende der Diskussion waren sich die Teilnehmer einig, dass die vorhandenen Angebote besser vermittelt werden müssen. Das kann unter anderem durch Aktionstage in den Vereinen und durch Kooperationen mit Schulen geschehen. Eine weitere Idee war, dass in der Lehrerausbildung der Bereich Sport und Inklusion stärker betont wird. Mit diesem Bündel an Maßnahmen soll erreicht werden, dass mehr Menschen mit Behinderung aktiv und als Fan am Sport teilnehmen können.